Dienstag, 22. November 2005

Der Einäugige der Eineiigen ...

Am Sonntagvormittag wurde Gert Jonke in Berlin der Kleist-Preis verliehen: Hier eine seiner fünf Blitzlichtabbildungen seiner Dankesrede, mit denen er Herrn Kleist persönlich einen schönen Gruß schickte:

1 - DRAMA

Ein Schauspieler hatte während der Proben für ein neues Stück plötzlich größte Schwierigkeiten folgender Natur: Er fühlte sich an mehreren Stellen des Textes wie von einem höheren Zwang bedroht, sein Spiel schlagartig erschrocken abzubrechen. Befragt, worin denn dieser Zwang ungefähr bestünde, antwortete er, er habe plötzlich ganz deutlich die Gewissheit, während er oben auf der Bühne spiele, sitze er auch gleichzeitig plötzlich im Zuschauerraum an einem bestimmten (immer dem gleichen) Sitzplatz unten und schaue sich von unten hinauf sehr missbilligend sich von unten im Zuschauerraum sitzend von jenem Platz aus immer wieder zu und zeige sich herauf eine lange Nase oder mache andere sich von unten hinauf ihn verhöhnende Faxen, und das tue ihm sehr weh, verursache ihm oben auf der Bühne durchaus auch eher immer unerträglichere Schmerzen, es wäre immer mehr zum Weinen und zum Heulen, er sei wütend, wolle sich hineinschmeißen. Dort, wo er in der Bestuhlung unten zu sitzen behauptete, während er oben spielte, saß aber keiner. Das untersuchte man ganz genau und mit allem Verständnis.

Mit Müh und Not kam er dann aber doch noch in die Endproben. Bei der Premiere ging alles gut. Man glaubte, die Sache sei nun ausgestanden, irgendwie bewältigt wohl und somit bald wieder auch zu vergessen. Man achtete aber darauf, dass jener Platz, wo der Schauspieler immer sich selbst gleichzeitig unten sitzend sich oben zuzuschauen während er spielte, dass jener Platz auch in den weiteren Vorstellungen sicherheitshalber von irgendwem besetzt wurde, und wenn von keinem zahlenden Besucher, dann wenigstens vom Feuerwehrmann oder vom Dienst habenden Theaterarzt, weil man weiterhin nicht fahrlässig zu werden sich vorgenommen hatte, und weil man gerade in Theaterkreisen solchen Sachen gegenüber einen geradezu abergläubischen Respekt zu zollen für wichtig hielt.

Aber eines Tages, als man schon gar nicht mehr daran dachte, ergriff am Abend der besagte Schauspieler in dieser Vorstellung plötzlich ohne Vorwarnung einen in seiner Reichweite als Requisit hingestellten Blumenstock, um ihn dann blitzschnell, aber sehr wohl exakt, präzise gezielt ins Publikum zu schleudern, natürlich genau in Richtung jenes Sitzplatzes. Dem dort sitzenden Zuschauer musste im Krankenhaus, wohin er sofort nach Unterbrechung der Vorstellung mit der Rettung eingeliefert wurde, ein Auge notoperativ entfernt werden. Es handelte sich um den jahrelang schon verschollenen vermissten und eigentlich auch schon vergessenen und aufgegebenen Zwillingsbruder des Schauspielers, nach dem der Schauspieler aber nach wie vor suchen ließ (um teures Geld von Detekteien, und der seinem Bruder nach wie vor wie aus dem Gesicht geschnitten ähnelte.)

Dem Schauspieler wurde natürlich sofort wegen publikumsgefährdenden Verhaltens fristlos gekündigt.

Die beiden Brüder schlugen sich fortan gemeinsam durchs Leben. Einmal traten sie in einem Varieté als lebendes Rätsel auf. Und zur Auflösung des Rätsels musste jener der beiden, der sich nicht die Schauspielkarriere selbst ruiniert hatte, sagen: "Von den eineiigen Zwillingen bin ich der Einäugige!" Um dann wie zum Beweis sich ins Gesicht greifend jenes seiner Augen, welches aus Glas war, aus dem Gesicht zu pflücken, und deutlich ersichtlich dem Publikum eine Zeit lang zeigend in die Luft zu halten.

Siniweler - Ohne Tal

Kein Ort zum Verweilen, nirgends. Wohin uns die Reise führt? Geradewegs lotrecht zu allem, was das Herz schneller schlagen lässt.

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