Josef Mitterer wird 60 und im selben Atemzug mit
Ludwig Wittgenstein genannt. Das ist eine Erwähnung wert. Zumal Mitterer in Österreich weitgehend unbekannt ist und - wie alle anderen ernst zu nehmenden Philosophen hierzulande - im Schatten eines Philosophielehrers namens
Konrad Paul Liessmann steht, den wir uns halten, wie einen pragmatisierten Hofnarren.
Schon 1994 hob ein Rezensent hervor, dass
Josef Mitterer mit seinen 100 Thesen "Jenseits der Philosophie" das gelungen ist, woran Wittgenstein in seinen
"Philosophischen Untersuchungen" scheiterte. Es gibt - wei Erich Heller irgendwann bemerkte - Philosophien, die wie Berge sind - man erklimmt sie, oder man erklimmt sie nicht - und solche, die Städten gleich zu betreten sind und in denen jede Gasse "mehr oder weniger" zum Verständnis beiträgt, in dem sie den suchenden Blick selbst zum Thema macht.
Wittgenstein gründete auf einem Bergplateau eine Stadt, die man erklimmen muss - über eine Leiter, an der jede Sprosse eine Nummer trägt: wie die Abschnitte in seinem
"Traktat". Doch eine eigentliche Leiter, die uns zur Stadt führen könnte, ist der Trakat nie gewesen. Er ist eine Aneinanderreihung von Sätzen, die das Ende eines Unternehmens markieren, Sätze von der Grenze der Sprache und von dem Schweigen, das zwischen dem Sprechenden ist und der Welt. Man stellt sich auf die erste Sprosse der Leiter und tut, als wäre es die letzte; man spricht aus, wovon man nicht sprechen kann - doch weder ist die Stadt in Sicht, noch wurde ihr Bau begonnen. Weil die Sprache nicht nur der Schlüssel zur Stadt ist - wie sich später herausstellen wird -, sondern auch das Vehikel, in dem man sich in ihr zu bewegen hat.
"Bedeutung" entsteht bei Wittgenstein wie bei einer Perlenkette, die aus einem schwarzen Loch gezogen wird: die einzelnen, zum Vorschein kommenden Glieder schlagen wie von selbst ihre Verbindung zur Kette, die vorher nicht da war. Warum? Weil es kein Außerhalb unserer Sprache gibt.
Und Mitterer? Auch er verwirft in seiner Philosophie die herkömmliche Auffassung, dass wir Objekte von ihren Beschreibungen trennen können. Er geht aber noch einen Schritt weiter, indem er dem "Aspektsehen", das Wittgenstein anhand eines Dreiecks vorführt, die Grundlage verweigert - nämlich das Dreieck: "Wenn wir davon sprechen, welchen Deutungen gemäß das Dreieck gesehen werden kann, dürfen wir jedoch nicht vergessen, daß auch das Dreieck eine Deutung, ein Aspekt, ist." (S. 24)
Womit wir beim Merksatz wären, mit dem wir diese Stunde beenden: "Wenn eine Priorität des Objekts gegenüber der Objektangabe erst nach der Objektangabe behauptet werden kann, läßt sich eine Sprachverschiedenheit des Objekts durch den Verweis auf die Priorität des Objekts gegenüber der Objektangabe nicht mehr begründen." (S. 98, These 70 in "Jenseits der Philosophie")
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coyote05 - 8. Jul, 08:04