Bleistift und Revolver ...
Gestern ein wunderbares Interview mit Peter Handke in OE1 gehört. Und heute in 3SAT die Aufführung des Thalia Theaters der Ulrike Maria Stuart von Elfriede Jelinek gesehen. Und so spanne ich den Rahmen zwischen Jelinek und Handke, aber auch zwischen Meinhof und Grillparzer, wenn man so will. Grillparzer verfolgte die Revolution von 1848 vom Fenster der Bibliothek aus, interessiert und durchaus mitfühlend, beteiligt - das lesen wir in seinen Tagebüchern. Aber auf die Straße - auf die Straße wäre er nie gegangen. Weil auf der Straße man sich nur verlieren kann und schuldig wird, ja schuldig werden muss, weil das Gesetz der Straße keine Zwischentöne kennt.
Das weiß auch Handke, der Eremit, spätestens seit seinem Engagement für Slobodan Milosevic und die von der westlichen Presse als seelenlos gebrandmarkten Dörfern Serbiens, die allseits umzingelt, im Elendstrichter von Europa vegetieren müssen, beschützt und bewacht von jenen Staaten, den westeuropäischen, die ihnen mit Bombengewalt den eigenen Staat Jugoslawien geraubt, geraubschatzt haben? (aus dem OE1-Gespräch)
Vorsicht da erhebt einer die Stimme gegen den europäischen Meinungskonsens, der die All-Gegenwart des Kapitals kaschiert in einem unerbittlichen Wertekanon gegen das Außen, wo immer es anklopft. Und schon springe ich zurück zur Ulrike Maria Stuart, dem Königinnendrama von Elfriede Jelinek und zitiere - schon wieder unerlaubt - die Nachgeborenen, die wir alle sind:
"Ach, wie gerne hätten wir die repressiven ideologischen Apparate selber noch erlebt, doch diese Offensivposition gabs nur für dich, wir hatten nicht die Wahl. Sonst hätten für die Illegalität wir uns ja auch entscheiden können. Hättest du gewußt, daß dreißig Jahre später Illegalität ganz ausgestorben wäre, wenn sich überhaupt noch einer dran erinnert, daß es sie gegeben hat, dann wär sie in jedem Falle nur fürs Kapital erlaubt, das offshore tummelt sich an wunderbaren Stränden, wo die Sonne niemals untergeht, nicht doch für dessen Gegner, die auf ewig, ohne je befreites Gebiet erreicht zu haben, heimatlos geworden sind, wer weiß, wie du dich in diesem Fall entschieden hättest. Vielleicht wären offshore alle wir gegangen wie das Geld in seinem schönen Urwald, wo von Baum zu Baum sichs schwingt, von keinem Raubtier je erwischt, weils selbst das allerschnellste Tier ist, von keinem andern je erreicht, und sich vermehrt sogar im Dreck, den all die Armen machen und den unsre Leute höchstens atmen, weil nichts Besseres sie damit anzufangen wissen, denn zähmen läßt sichs nicht, das Tier.
Was ich sagen will? Ich weiß es nicht genau. Vielleicht will ich nur zwei Dinge nebeneinander halten und sie aufeinander wirken lassen - das Zentrum der Meinungs- und Kulturmache und das, was offshore an Bedeutungen gehandelt wird. Eine Art Gegenüberstellung, bei der das Licht des einen, den Schatten des anderen erzeugt und umgekehrt. Weiß nur, dass einer, der so schreibt wie Handke, nicht so ganz irren kann. Dass einer ein guter Mensch sein muss, der die Welt so buchstabieren kann. Und wenn ein Grübler wie er, der dem Schönen auf der Spur ist und seiner Wahrhaftigkeit, ganz aus dem Häuschen ist, wenn er vom Unrecht an Serbien spricht, dann sind wir nicht mehr beim Begräbnis von Milosevic, sondern wieder mitten im Stück über die RAF ... und vom Nutzen des Staates, den er uns gegenüber als Gerechtigkeit verkauft - hier darf geschossen werden ... und danach? gehen wir shoppen, was immer auch passiert ... Humanismus, ich glaub ich muss gleich kotzen.
Ein pikantes Detail am Rande: Handkes Parteinahme für Serbien hat ihm wahrscheinlich den Nobelpreis gekostet. Die schönste Replik zu diesem spiegelgleichen Skandal kam letztes Jahr von Botho Strauss in der FAZ: Aber das allgemein Richtige, ein Gezücht unserer konsensitiv geschlossenen Öffentlichkeit, ist dennoch ein am Boden schleifendes träges Ungetüm, wie sehr es sich auch selbst gefallen mag. Einige andere aber müssen in der Höhe sich härter ausbilden und werden selbst aus einer Verrannt- oder Verstiegenheit heraus mehr Gutes unter die Menschen bringen als je tausend Richtige zusammen.
Das weiß auch Handke, der Eremit, spätestens seit seinem Engagement für Slobodan Milosevic und die von der westlichen Presse als seelenlos gebrandmarkten Dörfern Serbiens, die allseits umzingelt, im Elendstrichter von Europa vegetieren müssen, beschützt und bewacht von jenen Staaten, den westeuropäischen, die ihnen mit Bombengewalt den eigenen Staat Jugoslawien geraubt, geraubschatzt haben? (aus dem OE1-Gespräch)
Vorsicht da erhebt einer die Stimme gegen den europäischen Meinungskonsens, der die All-Gegenwart des Kapitals kaschiert in einem unerbittlichen Wertekanon gegen das Außen, wo immer es anklopft. Und schon springe ich zurück zur Ulrike Maria Stuart, dem Königinnendrama von Elfriede Jelinek und zitiere - schon wieder unerlaubt - die Nachgeborenen, die wir alle sind:
"Ach, wie gerne hätten wir die repressiven ideologischen Apparate selber noch erlebt, doch diese Offensivposition gabs nur für dich, wir hatten nicht die Wahl. Sonst hätten für die Illegalität wir uns ja auch entscheiden können. Hättest du gewußt, daß dreißig Jahre später Illegalität ganz ausgestorben wäre, wenn sich überhaupt noch einer dran erinnert, daß es sie gegeben hat, dann wär sie in jedem Falle nur fürs Kapital erlaubt, das offshore tummelt sich an wunderbaren Stränden, wo die Sonne niemals untergeht, nicht doch für dessen Gegner, die auf ewig, ohne je befreites Gebiet erreicht zu haben, heimatlos geworden sind, wer weiß, wie du dich in diesem Fall entschieden hättest. Vielleicht wären offshore alle wir gegangen wie das Geld in seinem schönen Urwald, wo von Baum zu Baum sichs schwingt, von keinem Raubtier je erwischt, weils selbst das allerschnellste Tier ist, von keinem andern je erreicht, und sich vermehrt sogar im Dreck, den all die Armen machen und den unsre Leute höchstens atmen, weil nichts Besseres sie damit anzufangen wissen, denn zähmen läßt sichs nicht, das Tier.
Was ich sagen will? Ich weiß es nicht genau. Vielleicht will ich nur zwei Dinge nebeneinander halten und sie aufeinander wirken lassen - das Zentrum der Meinungs- und Kulturmache und das, was offshore an Bedeutungen gehandelt wird. Eine Art Gegenüberstellung, bei der das Licht des einen, den Schatten des anderen erzeugt und umgekehrt. Weiß nur, dass einer, der so schreibt wie Handke, nicht so ganz irren kann. Dass einer ein guter Mensch sein muss, der die Welt so buchstabieren kann. Und wenn ein Grübler wie er, der dem Schönen auf der Spur ist und seiner Wahrhaftigkeit, ganz aus dem Häuschen ist, wenn er vom Unrecht an Serbien spricht, dann sind wir nicht mehr beim Begräbnis von Milosevic, sondern wieder mitten im Stück über die RAF ... und vom Nutzen des Staates, den er uns gegenüber als Gerechtigkeit verkauft - hier darf geschossen werden ... und danach? gehen wir shoppen, was immer auch passiert ... Humanismus, ich glaub ich muss gleich kotzen.
Ein pikantes Detail am Rande: Handkes Parteinahme für Serbien hat ihm wahrscheinlich den Nobelpreis gekostet. Die schönste Replik zu diesem spiegelgleichen Skandal kam letztes Jahr von Botho Strauss in der FAZ: Aber das allgemein Richtige, ein Gezücht unserer konsensitiv geschlossenen Öffentlichkeit, ist dennoch ein am Boden schleifendes träges Ungetüm, wie sehr es sich auch selbst gefallen mag. Einige andere aber müssen in der Höhe sich härter ausbilden und werden selbst aus einer Verrannt- oder Verstiegenheit heraus mehr Gutes unter die Menschen bringen als je tausend Richtige zusammen.
coyote05 - 4. Mai, 22:49
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