Der Mercedesmittelpunkt ...

Zuhause fremd
Der Mercedesmittelpunkt

Dort, wo einst zwei Flüsse ihre Schattierungen behutsam und täglich neu ineinander gossen, liegt nun ein begehbarer Mercedesstern als Brücke darüber. Die Schildbürgerkrone jenem, dem einfiel, mit dem Inbegriff des deutschen Kapitals den geografischen Mittelpunkt Österreichs zu markieren. Und das noch dazu im Rahmen einer Landesaustellung mit dem Titel „Narren und Visionäre“.

Fragt man die Bewohner von Bad Aussee, wie sie zu ihrem neuen Wahrzeichen stehen, dann sind sie überraschend reserviert. Als spürten sie instinktiv, dass es hier im geschichtsträchtigen Kurparkeck, wo Kultur und Natur aufeinandertreffen, an Behutsamkeit sträflich mangelt. Es macht den Eindruck, dass dieses Logo-Ungetüm eher ein zementgewordener Stammtischwitz ist, als das Ergebnis einer demokratischen Entscheidungsfindung. Der Konsens, der hier erzielt wurde, passiert allein auf Überrumpelung. Und die Mehrheit ist nur deswegen ein schweigende, weil die panierten Wienerschnitzel für die Bustouristen schon in der Pfanne liegen.

Der Eigensinn der Ausseer ist weit über die lokalen Grenzen von Pötschen und Hinterberg hinaus bekannt. Der Ech und seine Nicht-Korrumpierbarkeit war lange Zeit ein mächtiges Korrektiv gegen jede Art der Vereinnahmung. Ist dieser Mythos nun mit dem Präsidenten der Deutschen Arbeitgeberverbände endgültig auf den „Hundt“ gekommen? Und das betonierte Logo ein zweiter Ehrenring, den ihm die Stadtgemeinde Bad Aussee verliehen hat? Ist politischer und kultureller Konsens nichts mehr wert, seit das Beispiel Stronach in Österreich Schule macht? An jeder Ecke ein reicher Onkel, vor dem jede Bedeutung kapituliert.

Doch vielleicht rühren wir hier an einem Grundproblem von Landesausstellungen, das darin besteht, dass hier für kurze Zeit überproportional viel Geld verfügbar ist. Also umgekehrt zu einem kulturellen Projekt man sich nicht mit einer Idee im Kopf auf die Suche nach Sponsoren macht, sondern hier davon ausgegangen wird, dass sich angesichts einer unverhältnismäßig hohen budgetären Zuwendung die Kreativität schon einstellen wird. Mitnichten. Ein Trugschluss des Kapitals oder derer, die sich seiner bemächtigen. Anstatt also den Vertrauensvorschuss ernst zu nehmen und einen Denkprozess der besten Köpfe zu initiieren, wird an jeder Diskursgabelung die lukrativste Abkürzung genommen – vom Narrenbier zum Narrendirndl. Merchandising als entfesselter Narrentanz an der Peripherie, die kein ideelles Zentrum besitzt. Die Visionäre bleiben auf der Strecke oder halten es mit Joseph Roth, der schon im alten Jahrtausend weitblickend festhielt, dass das Zentrum Österreichs nicht in den Alpen zu suchen ist.

Ich muss zugeben: Ich habe keiner Veranstaltung der Landesausstellung beigewohnt und kein Museum besucht und weiß, dass ich damit Wasser auf die Mühlen derer gieße, die zur Gegenattacke ausholen. Doch zum Teufel mit der journalistischen Sorgfaltspflicht. Was soll ich tun, wenn mir der Mercedesstern im Zentrum jede Lust auf gelungene Peripherien nimmt? Was soll ich tun, wenn ich von diesem begehbaren Brückenwitz auf das Wasser der Traun schaue, die sich nicht wehren kann und mir beinahe die Tränen kommen. Tränen der Trauer, Tränen der Wut. Wir leben von der Natur. Landschaft ist alles, was wir haben. Sie inspiriert und fängt uns auf. Was hier fehlt, ist Respekt. Nicht mehr, nicht weniger. Respekt vor der Landschaft und den Menschen, die sich mit dem Flecken verbunden fühlen und nicht bereit sind, ihren Kopf auf Knopfdruck auszuschalten.

Sie wollen einen Vergleich? Auf der anderen Seite des Dachsteins liegt die steirische Ramsau. Dort wird gerade an einem neuen „Skywalk“ gebastelt, der direkt von der Seilbahnbergstation eine verwegene Perspektive in die identitätsstiftenden Südwände ermöglichen soll. Warum nicht in Form eines überdimensionalen Billasackerls, das sich dreht? Natur wird zur Bühne, auf der sich findige Tourismusmanager selbst inszenieren und Denkmäler setzen. Dort geht es zumindest um den spektakulären Blick, doch welches Spektakel eröffnet sich uns durch die Brücke? Über eine gequält witzige Einbahnregelung lacht nur der, dem sie Sinnbild ist für den Weg, der hier eingeschlagen wurde.

Bleibt mir am Ende nur ein Bitte. Verwechseln Sie nicht den Skandal mit dem Umstand, dass ihn einer benennt, der noch dazu Ausseer ist. Wir haben ein Problem und das nicht irgendwo, sondern dort, wo unser Zentrum ist. Der Skandal ist diese Mercedesbrücke und das Schweigen, das ihre Realisierung möglich gemacht hat. Was uns jetzt bleibt, ist das Warten, dass diese Schande langsam zerfällt und in sich zusammenstürzt. Egal, wie lange das dauert, wir werden das nicht mehr erleben. Wir haben uns zum Gespött gemacht, auch der Generationen, die nach uns kommen.

Doch halt! Bleibt uns wirklich nur das Warten? Haben wir vielleicht doch die Möglichkeit einer Korrektur, dort, wo die Bedeutungen liegen? Schreit nicht die Brücke, die ja selbst zeichenhaft ist und Symbol, nach einer Überlagerung, nach einem zweiten Text? Sprayer aller Länder vereinigt euch! Und fahrt nach Bad Aussee.

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Siniweler - Ohne Tal

Kein Ort zum Verweilen, nirgends. Wohin uns die Reise führt? Geradewegs lotrecht zu allem, was das Herz schneller schlagen lässt.

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