... bei uns im Weinkeller. Viel degustiert und gelacht und über das Schreiben geredet - den eigenen Anspruch und den Anspruch der anderen. Und den Müll, der tagein, tagaus produziert wird und die Bedeutungen mit sich reißt.
Und dann schreibt
Ulrich Greiner heute über
Adalbert Stifter die folgenden Sätze:
"Ich will Sie nicht zu Stifter überreden - er ist und bleibt ein spröder Autor -, sondern nur darauf hinweisen, dass es auch die Aufgabe der Schriftsteller ist, Expeditionen an die Ränder der üblichen Kommunikation zu unternehmen. Sie wecken damit unser Verständnis für die Sprache, die wir pausenlos benutzen und vernutzen. Der Vorgang bringt es mit sich, dass manche dieser Texte uns fremdartig erscheinen, gar unverständlich, jedenfalls nicht "gut geschrieben". Gut schreiben aber kann inzwischen jeder halbwegs Gebildete, und wenn er es nicht kann, so mag er ein Schreibseminar besuchen. Große Literatur aber ist etwas anderes."
An anderer Stelle, in einem anderen Text,
Peter Handke über denselben, präzise wie meistens:
"Jedem Jahr- und Jahreszeitenprosaschreiber sollten die verschiedenen Phasen der Stifterschen Erzählungen als eine Art Zeitschiene dienen, vor allem, in der Regel, die Übergänge von der dritten zur vierten, letzten Bearbeitung - wie noch die kleinsten Spuren von Satzautomatik und Bildrhetorik da gestutzt und gelichtet werden zu Dingfestigkeit und Bildtreue, ein bisschen wie bei einem so behutsamen wie entschiedenen, an die Wurzel gehenden Baumschnitt."
coyote05 - 22. Okt, 17:54
.... ist etwas wie Wonne und Entzücken, das gewaltig fassend, fast vernichtend in mein Wesen drang und dem nichts mehr in meinem künftigen Leben glich. Die Merkmale, die festgehalten wurden, sind: Es war Glanz, es war Gefühl, es war unten. Dies muss sehr früh gewesen sein, denn mir ist, als liege eine hohe, weite Finsternis des Nichts um das Ding herum.
Dann war etwas anderes ...
Immer mehr fühlte ich die Augen, die mich anschauten, die Stimme, die zu mir sprach, und die Arme, die alles milderten. Ich erinnerte mich, dass ich das "Mam" nannte.
Diese Arme fühlte ich mich einmal tragen. Es waren dunkle Flecken in mir. Die Erinnerung sagte mir später, dass es Wälder gewesen sind, die außerhlab mir waren. Dann war eine Empfindung, wie die erste meinen Lebens, Glanz und Gewühl, dann war nichts mehr ....
Noch ein anderes Ding der Stube war mir äußerst anmutig und lieblich und fast leuchtend in meiner Erinnerung. Es war das erste Fenster an der Eingangstür. Die Fenster der Stube hatten sehr breite Fensterbretter, und auf dem Brette dieses Fensters saß ich sehr oft und fühlte den Sonnenschein, und daher mag das Leuchtende der Erinnerung rühren ....
In meiner Erinnerung ist lauter Sommer, den ich durch das Fenster sah, von einem Winter ist von damals gar nichts in meiner Einbildungskraft.
Adalbert Stifter schrieb "Mein Leben" Anfang September 1866, als er seine Elternhaus im böhmischen Oberplan und das Grab seiner Mutter besuchte. 17 Monate später, in der Nacht vom 25. auf den 26. Jänner 1868 schneidet er sich mit dem Rasiermesser den Hals auf. 95 Jahre vergehen. Dann komme ich. Wir schreiben das Jahr 1963. Dieser Tage feiert man seinen 200. Geburtstag.
coyote05 - 22. Okt, 17:06
Heute wurde nach jahrelangem Ringen bei der
UNESCO ein Abkommen zur kulturellen Vielfalt unterzeichnet, - und zwar gegen die Stimmen der USA und Isreal. Eine durchaus als historisch einzustufende Leistung, weil damit dem Unwesen der entfesselten Marktwirtschaft aus regional-kultureller Perspektive zumindest prinzipiell ein Riegel vorgeschoben werden könnte. Natrülich im Konjunktiv, weil dieses kullturelle Vetorecht gegen Marktgesetze durch bilateralen Druck der USA in der Praxis sehr einfach aufgehoben werden kann. Kein Konjunktiv!
Dass sich die USA mit Händen und Füßen dagegen wehrte, war klar. Aber warum auch Israel? Dieses Land ist wirklich dabei, auch noch die letzten historischen Vorschüsse zu verspielen. Widerwärtig, die Zusammenhänge.
coyote05 - 20. Okt, 14:43
... und erzählte mir, dass er die meiste Zeit mit Spielen zubrachte - unbeschwert, nutzlos und frei - wie dieses Bild beweist. Wie sehr ich mich nach diesen Nutzlosigkeiten sehne, hier, an meinen Schreibtisch gefesselt im nebeligen Wiener Herbst, der an jeder Straßenecke nach Hundescheiße und Wahlen stinkt.

coyote05 - 19. Okt, 18:31
Der Schatz scheint gehoben, 2. Juli 1986: Simone Weil, in Schwerkraft und Gande
Eine Bewegung des Hinabsteigens, an der die Schwerkraft keinen Anteil hat ... Die Schwerkraft zieht hinab, der Flügel trägt empor: welcher Flügel in der zweiten Potenz kann abwärtstragen ohne Schwere?
Und dann der entscheidende Satz:
Die Schwerkraft des Geistes lässt uns nach oben fallen .
coyote05 - 16. Okt, 19:21
Auf der Suche nach dem fehlenden Satz der Simone Weil bin ich auf Saint John Perse gestoßen und seine Gedanken über Braques Vögel (notiert (von mir!!) am 24. Juli 1986) ... wir kreisen die Sache ein!
Der Mensch trägt die Last seiner Schwerkraft wie einen Mühlstein um den Hals, der Vogel wie eine bunte Feder an der Stirn.
und weiter:
Unter denen, die in der Höhe weilen, Räuber und Fischer, geht, um besser auf seine Beute sich zu stürzen, der Vogel großer Herrschaft sehr rasch von äußerster Fernsichtigkeit zur äußersten Nahsichtigkeit über: eine sehr feine Muskulatur des Auges bewirkt diese, die in zwie Richtungen die Krümmung der Linse verändern kann. Und steilen Fluges dann, wie von geflügelter Viktorie, die an sich selbst verbrennt -- vgl. Nietzsche: Die Flamme, die sich selbst verzehrt! --, in seine Flamme das Doppelbild des Segels und des Schwertes mischend, stößt der Vogel, der nur noch Seele, in bebender Sichelung nieder, eins zu werden mit seinem Fang.
und den Asketismus des Sturz-Flugs ...
Am Waagebalken seines Flügels die ungeheure Wägung einer doppelten Jahreszeit; und unter der Krümme des Flugs die Krümmung der Erde ... Der Wechsel ist sein Gesetz, die Zweideutigkeit sein Reich. --- als Herab-Stürzender erstrebt er die glatte Nacktheit des Geschoßes -- In Raum und Zeit, die er mit gleichem Fluge deckt, ist seine Ketzerei die eines dauernden Sommers ...
coyote05 - 16. Okt, 18:52
Landschaft ohne Substanz. Alles ist Zeichen. Alles ist deja vu. Das ist der Herbst.
Deshalb nehmen wir alles so schwer.
coyote05 - 14. Okt, 08:34
... und schreibt herbstschwerherzens am 13. Oktober 2005 ein Mehl an mich:
Fahrstuhlmusik ...
Mit zunehmendem Alter wird man immer tiefer ins All hinein sichtbar. Wäre man beispielsweise acht Minuten nach der Geburt gestorben, hätte man es gerade mal bis zur Sonne geschafft. Der durchschnittliche, männliche Österreicher ist bei seinem Tod in einem Radius von 83,5 Lichtjahren zu beobachten.
Wird die Vogelgrippe die interstellare Forschung negativ beeinflussen?
Auf meine Frage nach einem erklärenden Zusatz serviert er seine un/haltbaren Ausgangsthesen:
- Jeder menschliche Körper sendet Licht aus (Welle, Teilchen, Heisenberg), sonst hätte ich ja kein Bild von Dir.
- Die visuelle Übertragungsgeschwindigkeit von Menschen ist demnach klaro auch Lichtgeschwindigkeit.
- Wenn du z.B. weit vor mir herkletterst, hab ich schon ein Bild aus der Vergangenheit von dir (auch wenn in dem Moment andere Dinge wichtiger sind).
- Das Licht von der Sonne zur Erde braucht ca. 8 Minuten, also sollte es umgekehrt auch so sein.
- Mit dem Lebensalter steigt die Übertragungsdauer und damit die Reichweite.
- Also im genannten Beispiel bis zu 83,5 Lichtjahren
Ist im Prinzip ein Suchrätsel. Wo liegt der Denkfehler?
Und da denke ich mir: Man muss seinen Freunden ja nicht überall das Wasser reichen (können). Soll selbst sehen, wie er damit klar kommt.
Hauptsache er sendet - weiterhin - Licht.
coyote05 - 13. Okt, 13:52
Gestern lange durch den Herbst "gestapft", die Nase voll mit Schneegeruch und welken Blättern. Mit einem Freund gelacht und nachgedacht. In gläserner Luft.
Der Herbst ist wohl die Jahreszeit für mich, bei der ich mir am ehesten und am wenigsten vorstellen kann, nicht mehr da zu sein. Gleichzeitig wohlgemerkt. Eine Kontradiktion, die mir im Magen liegt.
coyote05 - 12. Okt, 18:38
Speechless, senseless, ropeless, hopeless:
Dan Osman, 400 ft in 4 minutes, Grade 5.7, not too much this time but soon later:
http://students.washington.edu/mtwall/dan_osman.wmv
coyote05 - 11. Okt, 16:17
Plötzlich das Buch in meiner Hand, mit dem ich vor einem Jahr die Rabbit-Quatrologie des großartigen John Updike an der falschen, aber für mich einzig stimmigen Stelle begann: mit Teil 3 - Rabbit in Ruhe, Rabbit at rest. Die Wochen, die folgten, gehörten zu den aufregenden dieses Jahres - immer ein Buch von Updike irgendwo eingeklemmt, immer einen Satz im Nachklingen.
Der erste, der mich traf: Und er hat nie vergessen, wie er im Juni vordreißig Jahren seine kleine Tochter Rebecca June ertrank; als er noch einmal allein in die Wohnung zurückging, stand in der Badewanne immer noch das laue graue Wasser, das sie getötet hatte. Gott hatte nicht den Stöpsel heruasgezogen. Es wäre so einfach für Ihn gewesen, für Ihn, der die Sterne an ihren Platz gesetzt hat. Es ungeschehen zu machen. Oder dasaus dem Universum zu tilgen, das die Pan-Am-Boeing 747 über Schottland in Stücke riss. All diese Körper mit pumpenden Herzen, die in der Finsternis hinunterstürzen. Wieviel wussten sie, während sie fielen, durch die Luft, die dicht wie laues Wasser war, laugrau wie dieser Terminal, durch den die Menschen wehen wie Staub durch den Luftkanal, für die Fluggesellschaft sind wir doch nichts weiter als Zahlen im Computer, eine mehr oder weniger, wen kümmert´s? Ein Flackern auf dem Schirm, dann ist es weg. Die Körper stürzen nieder wie nasse Melonenkerne.
Er, der die großen Dinge mit den kleinen Alltäglichkeiten so spielend zusammenbringt, dass es einem den Atem nimmt. Oder ganz anders das Leben selbst an solchen Stellen seinen Atem hinterlässt an der Glastrennscheibe der Wirklichkeiten.
coyote05 - 4. Okt, 17:08
„Erinnere dich daran, wie es war, als Du in den Schlaf gesungen wurdest. Wenn du Glück hast, brauchst Du deswegen nicht bis in die Kindheit zurückzudenken. Die wiederholten Zeilen von Worten und Musik sind wie Pfade. Die Pfade sind kreisförmig, sie bilden Ringe, die ineinander hängen wie die Glieder einer Kette. Du gehst diese Pfade entlang und wirst im Kreis herumgeführt, vom einen zum andern, weiter und weiter weg. Das Feld, auf dem Du gehst, das Feld, auf dem die Kette liegt, ist das Lied.“
John Berger: Feld
coyote05 - 23. Sep, 14:53
Marc Raschke schreibt im neuen über einige interessante Details. Hier ein paar Zahlenhappen zum Einstimmen - der vollständige Artikel findet sich
hier
Durchschnittliche Dauer des Kontakts zwischen Mutter und Kind unmittelbar nach der Geburt in Minuten: 5
Zahl der Deutschen, die 2003 übergewichtig waren, in Prozent: 49
Zahl der US-Amerikaner, die 2002 übergewichtig waren, in Prozent: 58
Durchschnittsalter der Weltbevölkerung 1950: 23,5 Jahre
Prognose über das Durchschnittsalter der Weltbevölkerung 2050: 37,8 Jahre
Durchschnittsalter der Bevölkerung in Deutschland 2003: 41,8 Jahre
Zahl der Slips, die eine Frau in Deutschland 2002 besaß – nach eigenen Angaben: 22
Zahl der Unterhosen, die ein Mann in Deutschland 2002 besaß – nach eigenen Angaben: 19
Zeit, die ein Mensch durchschnittlich braucht, um einzuschlafen, in Minuten: 17,5
coyote05 - 23. Sep, 14:49
Nicht nur in Büchern finden sich mitunter schöne Metaphern, auch in Zeitungen wie dem Falter kann man sie finden, wenn Johann Skocek, ein begnadeter Sportjournalist über Toni Fitsch, den begnadeten Free-Kicker schreibt.
Nachdem Toni Fitsch in einem Lokal in Houston ein Black-Angus-Steak bestellt und dem ungläubigen Kellner zu verstehen gibt, während er ihm die zwei Ringe an seiner Hand entgegenhält, dass der Chef schon wissen werde, was zu machen sei, wächst "25 Sekunden später ein Riese mit einem Schnauzer, den sie in Europa nicht in ein Gesicht, sondern in eine Autowaschanlage einbauen würden, auf den Tisch zu wie eine Schlechtwetterfront am Tauernpass." Nun gut, die Zugabe ist vielleicht etwas holprig aber der Schnauzer in der Waschanlage ist ein Genuss.
Wie die Geschichte weitergeht? Er, der Riese, (Ex-Linebacker der Cowboys Andy Whites)macht erst Stopp, als er in Toni Fritschs Armen liegt. "Toni, mein Gott, wieso hast du nicht angerufen?" Wer Toni Fitsch kennengelernt hat, kann sich vorstellen, dass solche Anekdoten sich die Hand geben.
Toni Fritsch ruft nirgends mehr an. Er, der Wembley Toni (20. Oktober 1965: Österreich besiegt England mit 3:2 und Toni Fritsch schießt 2 Tore) ist tot. (1945-2005)
coyote05 - 22. Sep, 09:04
Michael Broadbent, Grandseigneur der Weinjournalisten bringt die Situation am globalisierten Weinmarkt auf den Punkt: "Bei Weinprämierungen denke ich immer wieder an Miss-Wahlen. Die attraktivsten und intelligentesten Mädchen bleiben zu Hause."
coyote05 - 20. Sep, 22:06
Habe die ersten drei Geschichten von Nichts von Peter Glaser gelesen und fühle mich wie oft nach guten Texten: aufgeladen und fluoreszierend, als wäre ich mit Haut und Haaren hineingespannt in eine Welt, die plötzlich Spuren hinterlässt, in allem, was sie tut.
Bei Herrn Glaser hat das Licht etwas Stoffliches. Seine Lichtbeschreibungen durchziehen wie ein roter Faden alles oder nichts: Autos fuhren, und die letzten Sonnenlichtflecken liefen auf dem Glanz an ihren Seiten entlang, und während sie auf die Durchfahrt unter einer Brücke zurollten, unter der schon Dunkelheit wartete, tropften die Lichtfelcken vom Blech, und noch bevor die Autos unter die Brücke fuhren, waren sie bereits dunkel und in der Nacht.
Und auch die Luft hat ihr Geheimnis: Als ich zur Straße ging, sah ich einen Strauch. Er wurde von einer Bö nach einer Seite gedrückt und seine Blätter schütterten, und in der folgenden Windstille schnellten die Zweige, als habe sich den Sommer über eine Elastizität an ihnen gesammelt, die sich nun verschwenden konnte, in einem Bogen in ihren ruhigen Wuchs zurück, und ich sah dieses Zurückschnellen durch die Vorstellung einer graziösen Handbewegung hindurch: Jemandem wird der Weg freigegeben.
Das ist wie Handke in seinen besten Momenten, nur besser.
Draußen flog eine Schwalbe in eine Bö. Nichts veränderte sich an ihren Bewegungen, nur dass sie nicht mehr vorwärts kam.
coyote05 - 18. Sep, 14:41
von Friedrich Achleitner
jedes zuspätkommen, soll es den richtigen effekt machen, erfordert höchste pünkltichkeit. darüber hinaus verlangt es vom zuspätkommenden größtes psychologisches einfühlungsvermögen, wenn nicht machiavellische intelligenz. der zuspätkommende muss genau wissen, wann und wo er zu spät kommt. er darf nicht zu früh zu spät kommen, weil es dann kein richtiges zuspätkommen ist und auch nicht wirklich auffällt, er darf aber vor allem nicht zu spät zu spät kommen, weil dann das autitorium schon mit wesentlicheren dingen befasst ist. der zuspätkommende muss darüber hinaus eine markante erscheinung sein - diese durch einen schwarzen hut oder einen roten schal zu betonen wird allgemien als vulgär empfunden - oder von einer stupenden unscheinbarkeit, so dass diese selbst wieder auffällt. den genauen zeitpunkt des zuspätkommens festzulegen ist eine kunst und bedarf vieler erfahrung...
coyote05 - 17. Sep, 22:22