... aus all der Arbeit, die sich um mich türmt. Technologiebewertung und Zukunftsfragen. Dazwischen Peter Glaser: Geschichte von Nichts auf meinem Schreibtisch glücklich gelandet.
Da traut sich doch wieder jemand Metaphern zu, und was für welche. Danke, Ausrufezeichen - auch wenn ich nicht mit jeder mitgehen kann. Aber das ist ja der Witz dabei, dass man ein Risiko eingeht und den Leser manchmal allein lassen muss mit seinem Bildervakuum: "Henri ist ein Junge mit vielen Talenten, einer Frisur, die aussieht wie eine aus Kirschholz geschnitzte brennende Benzinpfütze, und einer kleinen Narbe unter dem rechten Auge."
Ein Dank auch an alle, die mir diese Frisur näherbringen können ;-)
Und für all jene, die Peter Glaser nicht kennen, ein Zitat aus meinem Lieblingsbuch von ihm als Empfehlung. Wir schreiben die neunzehnte Stunde der "24 Stunden im 21. Jahrhundert":
Was macht es aus mir und der Welt, wenn ich allein vor dem Bildschirm sitze? Die Übereinkünfte, wie man gemeinsam mit anderen auf Wahrnehmungen reagiert, fallen in der Einsamkeit ab. Ich muss nicht mehr reden. Die Sprache spricht stumm und geduldig mit mir, und ich mache still oder so leichthin, dass es von jedem körperlichen Gegenüber verweht würde, die Form der Gedanken daraus. Einsamkeit lässt mir Zeit. Ich bin andächtig, und zwar ganz unromantisch; die Hundescheiße auf dem Gehsteig ist Hundescheiße, Sahnejoghurts sind Sahnejoghurts, Tod ist Tod.
coyote05 - 14. Sep, 10:50
"Die Hände der Fleißigen ruhen. Nichts regt sich, die Luft ist glatt, wie ein Spiegel. Möglich, dass, woanders gerade ein Verbrechen geschieht, so namenlos, so kraftlos ist alles. Wie heiße ich? lautet da eine Frage. Und die Antwort ist dieses Summen, dieses Rauschen. Es ist das Gerausche, das von den Haaren der Welt herrührt, die sich in ihrem riesigen Bett auf die andere Seite dreht."
Klaus Hoffer, Halbwegs. Geschrieben vor einem Vierteljahrhundert. Metaphern, die glücken, aber nicht ganz. Und doch soviel, dass ich Gänsehaut bekomme. "Die Geschichte ist eine ausgleichende Ungerechtigkeit" ist da an anderer Stelle zu lesen und: "Die Unruhe ist auseinandergebrochen: die Zeiger zeigen nicht die Zeit, sondern den Ort. Hier ist Montag."
Das Leben in der Postmoderne: Hier ist Montag, die Unruhe ist zerbrochen, der Ort implodiert jederzeit, das ist die Katastrophe. Wir ticken vor uns hin und bewegen uns nicht von der Stelle. Fensterlose Monaden im Zeitalter der Globalisierung.
coyote05 - 11. Sep, 14:19
„Der, den ich liebe
Hat mir gesagt
Dass er mich braucht.
Darum
Gebe ich auf mich acht
Wehe auf meinen Weg und
Fürchte von jedem Regentropfen
Dass er mich erschlagen könnte.“
Berthold Brecht
coyote05 - 10. Sep, 21:51
Im allgemeinen schwindet mit zunehmender Lebensmüdigkeit auch die Angst vor dem Tod.
coyote05 - 9. Sep, 10:59
John Berger ist ein Poet und Denker. Einer, der aufs Ganze geht, der sich nicht nach dem Wind dreht. Das macht ihn spannend und nicht unbedingt zitierfähiger. Denn cool ist seine Unterscheidung zwischen Männer und Frauen sicher nicht. Wohl aber mit Momenten, in denen Wahrheit aufleuchtet. Und mehr kann man von ihr ja wohl auch nicht verlangen....
Lesen Sie selbst:
Nach Bräuchen und Konventionen, die zwar heute kritisch befragt werden, aber noch keineswegs überwunden sind, unterscheidet sich die gesellschaftliche Erscheinung einer Frau - ihr Auftreten - von dem eines Mannes. Das wirksame Auftreten des Mannes ist abhängig von der Verheißung der Kraft und der Macht, die er verkörpert. Je mehr und je glaubwürdiger er etwas verheißt, desto eindrucksvoller ist sein Auftreten. Der Mann kann moralische, physische, betont persönliche, gesellschaftliche oder sexuelle Macht und Kraft verheißen, auf jeden Fall aber liegt das Ziel, auf das sie sich richtet, außerhalb des Mannes. Sein Auftreten lässt darauf schließen, was er für dich oder dir zu tun imstande ist. ......
Im Gegensatz dazu drückt das Auftreten und damit die Erscheinung einer Frau ihre Einstellung zu sich selbst aus und macht darüber hinaus klar, was man mit ihr tun kann und was nicht. Ihr Auftreten (ihre Erscheinung) manifestiert sich in ihren Gesten, ihrer Stimme, ihren Meinungen, Äußerungen, Kleidern, in ihrem Geschmack und der von ihr gewählten Umgebung - tatsächlich kann sie nichts tun, was nicht zu ihrer Erscheinung beiträgt. Die Erscheinung der Frau ist so wesentlich für ihre Persönlichkeit, dass Männer dazu neigen, sie für eine fast physische Ausstrahlung zu halten, eine Art Hitze, Geruch, oder Aura.
Die Frau wird in einen ihr zugeteilten und beschränkten Raum hineingeboren, in die Obhut des Mannes. Das gesellschaftliche Auftreten der Frau, ihre Stellung in der Gesellschaft, konnte sich demzufolge nur entwickeln als Ergebnis ihrer Lebenstüchtigkeit, die sie unter der männlichen Bevormundung innerhalb des begrenzten Raumes erworben hat. Diese Entwicklung vollzog sich auf Kosten einer Spaltung ihres Selbst. Eine Frau muss sich ständig selbst beobachten und wird fast ständig von dem Bild begleitet, das sie sich von sich selbst macht. Ob sie durch ein Zimmer geht oder über den Tod ihres Vaters weint, sie wird es kaum vermeiden können, sich selbst beim Gehen oder Weinen zu beobachten. Von frühester Kindheit an hat man ihr beigebracht und sie dazu überredet, sich ständiger Selbstkontrolle zu unterwerfen.
Und so kommt sie dazu, den Prüfer und die Geprüfte in ihr als die beiden wesentlichen, doch immer getrennten Komponenten ihrer Identität als Frau anzusehen. Sie muss alles prüfen, was sie ist, und alles, was sie tut, denn wie sie sich anderen darstellt, und - letzten Endes - wie sie sich den Männern darstellt, ist von entscheidender Bedeutung dafür, was man gemeinhin als den Erfolg ihres Lebens ansieht. Ihr eigenes Selbstgefühl wird durch das Gefühl verdrängt, etwas in der Einschätzung anderer zu sein.
Männer prüfen Frauen, ehe sie mit ihnen umgehen. Wie eine Frau sich einem Mann darstellt, kann in der Folge darüber entscheiden, wie sie von ihm behandelt wird. Um eine gewisse Kontrolle über diesen Vorgang zu gewinnen, müssen Frauen ihn in sich aufnehmen und verinnerlichen. Der prüfende Teil einer Frau behandelt den geprüften Teil ihres Selbst in einer Weise, die den anderen zeigt, wie ihr ganzes Selbst behandelt werden möchte. Und diese exemplarische Behandlung ihrer selbst durch sie selbst macht ihre Erscheinung aus. Auftreten und Erscheinung jeder Frau regeln, was und was nicht „zulässig“ ist in ihrer Gegenwart. .....
Wir könnten vereinfachend sagen: Männer handeln und Frauen treten auf. Männer sehen Frauen an. Frauen beobachten sich selbst als diejenigen, die angesehen werden. Dieser Mechanismus bestimmt nicht nur die meisten Beziehungen zwischen Männern und Frauen, sondern auch die Beziehung von Frauen zu sich selbst. Der Prüfer der Frau in ihr selbst ist männlich - das Geprüfte weiblich. Somit verwandelt sie sich selbst in ein Objekt, ganz besonders in ein Objekt zum Anschauen - in einen „Anblick“.
John Berger: Sehen. Das Bild der Welt in der Bilderwelt, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1974, s. 43 f. Titel der Originalausgabe: Ways of Seeing, Penguin Books: Harmondsworth 1972
coyote05 - 7. Sep, 22:02
„Ein Albatros kann jahrelang in der Luft sein, ohne zu landen. Wussten sie das?“ Er ließ diesen Satz ausklingen wie einen Sommer und blickte sie danach ganz unvermittelt an.
Und sie? Sie musste den Blick, der geistesabwesend auf der Katze ruhte, nicht mal senken. "Ein Albatros", dachte Sie. "Die Japaner nennen ihn Idiotenvogel, weil er sich nicht wehrt, wenn man ihn bedroht. Nicht mal, wenn man ihn umbringt."
„Und was hat es ihm gebracht, frage ich sie?“, versucht er seinen offensiven Blick nachträglich durch eine nicht minder offensive, ornitologische Finte zu legitmieren. „Na was wohl? Beinahe ausgerottet heute. Nur noch ein paar hundert Restexemplare gibt es. Irgendwo auf einem Korallenfelsen, wo es schneidend nach Schwefel riecht."
"Wie kann man ein so majestätisches Tier erschaffen und dabei auf den Überlebensinstinkt vergessen", dachte sie und strich sich mit einer Hand über den zitternden Schulterflügel.
My hands are of your colour,
but I shame
To wear a heart so white.
William Shakespeare
coyote05 - 5. Sep, 22:19
Zuhause fremd
Der Mercedesmittelpunkt
Dort, wo einst zwei Flüsse ihre Schattierungen behutsam und täglich neu ineinander gossen, liegt nun ein begehbarer Mercedesstern als Brücke darüber. Die Schildbürgerkrone jenem, dem einfiel, mit dem Inbegriff des deutschen Kapitals den geografischen Mittelpunkt Österreichs zu markieren. Und das noch dazu im Rahmen einer Landesaustellung mit dem Titel „Narren und Visionäre“.
Fragt man die Bewohner von Bad Aussee, wie sie zu ihrem neuen Wahrzeichen stehen, dann sind sie überraschend reserviert. Als spürten sie instinktiv, dass es hier im geschichtsträchtigen Kurparkeck, wo Kultur und Natur aufeinandertreffen, an Behutsamkeit sträflich mangelt. Es macht den Eindruck, dass dieses Logo-Ungetüm eher ein zementgewordener Stammtischwitz ist, als das Ergebnis einer demokratischen Entscheidungsfindung. Der Konsens, der hier erzielt wurde, passiert allein auf Überrumpelung. Und die Mehrheit ist nur deswegen ein schweigende, weil die panierten Wienerschnitzel für die Bustouristen schon in der Pfanne liegen.
Der Eigensinn der Ausseer ist weit über die lokalen Grenzen von Pötschen und Hinterberg hinaus bekannt. Der Ech und seine Nicht-Korrumpierbarkeit war lange Zeit ein mächtiges Korrektiv gegen jede Art der Vereinnahmung. Ist dieser Mythos nun mit dem Präsidenten der Deutschen Arbeitgeberverbände endgültig auf den „Hundt“ gekommen? Und das betonierte Logo ein zweiter Ehrenring, den ihm die Stadtgemeinde Bad Aussee verliehen hat? Ist politischer und kultureller Konsens nichts mehr wert, seit das Beispiel Stronach in Österreich Schule macht? An jeder Ecke ein reicher Onkel, vor dem jede Bedeutung kapituliert.
Doch vielleicht rühren wir hier an einem Grundproblem von Landesausstellungen, das darin besteht, dass hier für kurze Zeit überproportional viel Geld verfügbar ist. Also umgekehrt zu einem kulturellen Projekt man sich nicht mit einer Idee im Kopf auf die Suche nach Sponsoren macht, sondern hier davon ausgegangen wird, dass sich angesichts einer unverhältnismäßig hohen budgetären Zuwendung die Kreativität schon einstellen wird. Mitnichten. Ein Trugschluss des Kapitals oder derer, die sich seiner bemächtigen. Anstatt also den Vertrauensvorschuss ernst zu nehmen und einen Denkprozess der besten Köpfe zu initiieren, wird an jeder Diskursgabelung die lukrativste Abkürzung genommen – vom Narrenbier zum Narrendirndl. Merchandising als entfesselter Narrentanz an der Peripherie, die kein ideelles Zentrum besitzt. Die Visionäre bleiben auf der Strecke oder halten es mit Joseph Roth, der schon im alten Jahrtausend weitblickend festhielt, dass das Zentrum Österreichs nicht in den Alpen zu suchen ist.
Ich muss zugeben: Ich habe keiner Veranstaltung der Landesausstellung beigewohnt und kein Museum besucht und weiß, dass ich damit Wasser auf die Mühlen derer gieße, die zur Gegenattacke ausholen. Doch zum Teufel mit der journalistischen Sorgfaltspflicht. Was soll ich tun, wenn mir der Mercedesstern im Zentrum jede Lust auf gelungene Peripherien nimmt? Was soll ich tun, wenn ich von diesem begehbaren Brückenwitz auf das Wasser der Traun schaue, die sich nicht wehren kann und mir beinahe die Tränen kommen. Tränen der Trauer, Tränen der Wut. Wir leben von der Natur. Landschaft ist alles, was wir haben. Sie inspiriert und fängt uns auf. Was hier fehlt, ist Respekt. Nicht mehr, nicht weniger. Respekt vor der Landschaft und den Menschen, die sich mit dem Flecken verbunden fühlen und nicht bereit sind, ihren Kopf auf Knopfdruck auszuschalten.
Sie wollen einen Vergleich? Auf der anderen Seite des Dachsteins liegt die steirische Ramsau. Dort wird gerade an einem neuen „Skywalk“ gebastelt, der direkt von der Seilbahnbergstation eine verwegene Perspektive in die identitätsstiftenden Südwände ermöglichen soll. Warum nicht in Form eines überdimensionalen Billasackerls, das sich dreht? Natur wird zur Bühne, auf der sich findige Tourismusmanager selbst inszenieren und Denkmäler setzen. Dort geht es zumindest um den spektakulären Blick, doch welches Spektakel eröffnet sich uns durch die Brücke? Über eine gequält witzige Einbahnregelung lacht nur der, dem sie Sinnbild ist für den Weg, der hier eingeschlagen wurde.
Bleibt mir am Ende nur ein Bitte. Verwechseln Sie nicht den Skandal mit dem Umstand, dass ihn einer benennt, der noch dazu Ausseer ist. Wir haben ein Problem und das nicht irgendwo, sondern dort, wo unser Zentrum ist. Der Skandal ist diese Mercedesbrücke und das Schweigen, das ihre Realisierung möglich gemacht hat. Was uns jetzt bleibt, ist das Warten, dass diese Schande langsam zerfällt und in sich zusammenstürzt. Egal, wie lange das dauert, wir werden das nicht mehr erleben. Wir haben uns zum Gespött gemacht, auch der Generationen, die nach uns kommen.
Doch halt! Bleibt uns wirklich nur das Warten? Haben wir vielleicht doch die Möglichkeit einer Korrektur, dort, wo die Bedeutungen liegen? Schreit nicht die Brücke, die ja selbst zeichenhaft ist und Symbol, nach einer Überlagerung, nach einem zweiten Text? Sprayer aller Länder vereinigt euch! Und fahrt nach Bad Aussee.
coyote05 - 4. Sep, 21:55
Im
Brand Eins Magazin findet sich folgende poetische Einstimmung:
Noch zu erledigen
– Steuererklärung fertig machen
– Wäsche waschen
– Zigaretten holen
– mit dem Hund rausgehen
– Steuererklärung fertig machen!
– das Finanzamt vertrösten
– Wäsche aufhängen
– Steuererklärung wirklich fertig machen!!
– Wo ist der Hund?
– Wäsche bügeln
– Pause
– Steuererklärung fertig machen
– Mails checken
– den Hund füttern
– Steuererklärung fertig machen!
– mal gucken, was im Fernsehen kommt
coyote05 - 31. Aug, 23:29
Gestern endlich wieder mal gelaufen - einen kleinen Hügelhang hinauf. Durch den dunkel werdenden Wald. Mein Puls an meinem Denken, meine Gedanken abwesend im Rhythmus der Schritte. Und dann am Ende die Hütte, der Aussichtsturm im letzten Abendlicht. Endlich ganz oben, das Sonnenrund am Horizont, eine rotrote Scheibe - hier werden sie lange nach einem Adjektiv warten -, ein paar Minuten lang den Puls abkühlen, schauen, wie am Ende ein roter Wurm den Horizont entlang kriecht und verschwindet. Und dann noch aufgesprungen, dummer Bub, im Glauben, doch noch was zu sehen von dem Glühen. Denkste. Der eine Meter Differenz vom Sitzendschauen zum Aufrechtstehen ein Nichts im Winkelmaß zum Horizont. Was bleibt ist Sonnenstaub auf Wolken. Abend. Und ein müdes Ich, das langsam heim sich tastet durch den schattenlosen Wald.
Neben diesem Sich-Erinnern wieder mal im
Blumenau-Journal geblättert und was findet sich: eine Lobeshymne des neuen Buchs von
Michel Houellebecq:
Die Möglichkeit einer Insel. Muss es lesen. Gleich!
coyote05 - 31. Aug, 23:00
... und immer geht es um Erlösung!
"Ein Landmann war er von Geburt, einer, der den Frieden des irdischen Seins liebt, einer, dem ein schlichtes und gefestigtes Leben in der ländlichen Gemeinschaft getaugt hätte, einer, dem es seiner Abstammung nach beschieden gewesen wäre, bleiben zu dürfen, bleiben zu müssen, und den es, einem höheren Schicksal gemäß, von der Heimat nicht losgelassen, dennoch nicht in ihr belassen hatte; es hatte ihn hinausgetrieben, hinaus aus der Gemeinschaft, hinein in die nackteste, böseste, wildeste Einsamkeit des Menschengewühles, es hatte ihn weggejagt von der Einfachheit seines Ursprunges, gejagt ins Weite zu immer größer werdender Vielfalt, und wenn hierdurch irgend etwas größer oder weiter geworden war, so war es lediglich der Abstand vom eigentlichen Leben, denn wahrlich, der allein war gewachsen: bloß am Rande seiner Felder war er geschritten, bloß am Rande seines Lebens hatte er gelebt; er war zu einem Ruhelosen geworden, den Tod fliehend, den Tod suchend, das Werk suchend, das Werk fliehend, ein Liebender und dabei doch ein Gehetzter, ein Irrender durch die Leidenschaften des Innen und Außen, ein Gast seines Lebens."
Hermann Broch: Der Tod des Vergil
coyote05 - 28. Aug, 16:22
Gerhard Botz schreibt im
SPECTRUM der Presse vom 27. August 2005 über seinen Vater und beginnt so:
Ich habe meinen Vater nicht gekannt. Der Gerhard Botz, der gegen Waldheim und Peter an-geschrieben hat. Der Historiker Botz nimmt im Alter von 62 Jahren das "Gespräch" mit seinem Vater auf, der, als er 2 jährig, Ende November 1944 gefallen ist. Und versucht dessen Geschichte, "mit den Mitteln (seines) eigenen Fachs und aus der Perspektive einer Ego-Historie zu (re-)konstruieren."
Bemerkenswert darin folgende Feststellungen: "Die NSDAP verstand sich als eine Elite, der nicht mehr als ein Zehntel aller "Volksgenossen" angehören sollten, auch dann, als in den Gauen der "Ostmark" diese Schwelle durch den schier unbändigen Drang vieler Österreicher und Österreicherinnen, in die Monopolpartei zu kommen, ins Wanken zu geraten drohte... Mein Vater zählte zu den 1943 insgesamt fast 700.000 österreichischen Nationalsozialisten ...Was sich in Marzabotto am 29. September 1944 abgespeilt hatte, ist kein Einzelfall. Ganz ähnliche Massaker unter der Zivilbevölkerung spielten sich 1943/44 im französischen Oradour, im griechischen Kalavrita und auf dem ganzen Balkan zu Dutzenden ab, hier begangen nicht nur von der SS, sondern auch von der regulären Wehrmacht und oft von solchen Einheiten, die mehrheitlich aus Österreichern bestanden ..."
Wie war das doch gleich mit dem Parteibuch damals?
coyote05 - 27. Aug, 23:31
"wir behandeln uns manchmal so grob als hätten wir es mit ganz gewöhnlichen unempfindsamen menschen zu tun ..."
elfriede mayröcker: und ich schüttelte einen liebling
no comment, oder doch?
manchmal hasse ich mein menschsein, das auf-der-stelle-treten, die rückfälle, das nicht-zuhören, das aneinander-vorbeigehen, die vergeudeten momente, den wind des lebens, das ungenutzt an mir vorbeirast, .... schüttle mich liebling und: halt mich fest!
coyote05 - 27. Aug, 23:12
"Wie gerne würde ich mir als Fremder einmal zuhören, ohne mich zu erkennen, und später erst erfahren, dass ich es war." Simone Weil
Worum es geht? Diesen Satz nicht nur zu lesen. Stehenbleiben. Innehalten und dieses Fremdsein erspüren. Jedes Wort kauen. Bis die Gänsehaut kommt. Das Lesen ist nur das eine. Das andere ist das Aufnehmen. Das Verinnerlichen, das Gewahr werden -- ach wie schrullig, wie altmodisch ich doch bin!
coyote05 - 26. Aug, 13:03
"Ich sah mein Leben so verzweigt vor mir wie den grünen Feigenbaum in der Erzählung. Am Ende jedes Zweiges winkte und blinzelte eine wunderbare Zukunft wie eine fette purpurfarbene Feige. Die eine Feige war ein Mann und ein glückliches Heim und Kinder, und die andere Feige war eine brillante Professorin, und eine andere Feige war ... die großartige Redakteurin, und eine andere Feige war Europa und Afrika und Südamerika ..., und eine andere Feige war eine Olympiasiegerin, und unter und über diesen Feigen hingen noch viel mehr Feigen, die ich nicht genau erkennen konnte. Ich sah mich in der Gabelung des Feigenbaums sitzen, ich verhungerte, nur weil ich mich nicht entschließen konnte, welche Feige ich nehmen sollte. Ich wollte jede einzelne, aber eine auszuwählen hätte bedeutet, alle andere zu verlieren, und während ich dort saß und nicht fähig war, mich zu entscheiden, begannen die Feigen schrumpelig zu werden und schwarz und eine nach der anderen fiel auf den Boden, mir vor die Füße."
Sylvia Plath, Die Glasglocke
Das ist das eine Bild. Das andere Bild ist derjenige, der nicht warten kann, der zu früh zugreift, ohne zu wissen, worum es geht. Der sein ganzes Leben lang keinen Hunger spürt, weil er immer schon vollgestopft ist - mit Feigen!
coyote05 - 24. Aug, 22:17

Wie ging er noch .... dieser geballte Satz mit seiner unauflösbaren Dialektik?
... aufwärts fallen / die Schwerkraft, die nach oben zieht / ..... eine Feder, die aufwärts fällt? .... wer hilft mir mit diesem Zitat aus
Simone Weils Buch "Schwerkraft und Gnade".
Habs gerade jemanden versprochen - sorry THESOURCE! - aber ich war mir so sicher, dass ich es griffbereit hab, in meinem Kopf. Und jetzt das. Doch ich tröste mich mit einem anderen Satz derselben, nicht weniger explosiv:
Die Abwesenheit ist nur eine andere Art zu erscheinen.
Wird nachgereicht.
coyote05 - 24. Aug, 21:13
Aufgeschlagen: Hermann Peter Piwitt. STEINZEIT, Notate zur Nacht 1989 bis 2002. Notate, momenthaftes Reagieren auf Kräfte. Fetzen herausgerissen aus dem Leben und deshalb manchmal von explosivem Wahrheitsgehalt.
Ein Kostprobe: "Wo keine Umgangsformen mehr gelten, findet auch keine schöpferische Übertretung mehr statt; nur noch Konventionen von Exzentrik."
Also nicht auf Teufel komm raus originell sein wollen. Da schon lieber solange abschreiben, bis das Hirn ganz leer ist. Da schon besser Gutes wiederholen, auswendig lernen, Worte solange kauen bis die Zähne rausfallen. Damit der Kopf in Schwung bleibt und bereit ist, wenns drauf ankommt. Wen kümmern schon all die dämlichen Übertretungsversuche, in einer Zeit, die kein Tabu mehr kennt.
Wer braucht schon Mut dazu. Stell dich besser nachts allein in einen Wald und warte - auf die Angst. Sie wird kommen mit jedem Schritt, der das Laub aufwühlt. Sie wird kommen und sie wird gehen. Und sie wird dir zeigen, was es braucht, Mut zu haben. Hier gehts nicht um Herzeigbarkeiten und Trophäen. Hier gehts nur um dich. Mut braucht es keinen nachts im Wald, das ist klar. Doch wer du bist und was dir fehlt, weißt du in 2 Sekunden. sic! Und danach setz dich hin und schreibe, wenn du glaubst, dass das jemand hören will.
coyote05 - 21. Aug, 11:09
Eine Wirklichkeit ist nicht vonnöten,
ja es gibt sie garnicht, wenn ein Mann
aus dem Urmotiv der Flairs und Flöten
(Urmotiv aus Flair und Flöten??? de que habla el senor? -- was hat es damit wohl auf sich?!)
seine Existenz beweisen kann.
Nicht Olypmpia oder Fleisch und Flieder
(warum nicht: "Nicht Olympia, kein Fleisch noch Flieder" - und das Versmaß beibehalten???)
malte jener, welcher einst gemalt,
seine Trance, Kettenlieder
hatten ihn von innen angestrahlt.
Angekettet fuhr er die Galeere
tief im Schiffsbauch, Wasser sah er kaum,
Möwen, Sterne - nichts: aus eigener Schwere
unter Augenzwang entstand ein Traum.
Als ihm graute, schuf er einen Fetisch,
als er litt, entstand die Pietá,
als er spielte, malte er den Teetisch,
doch es war kein Tee zum Trinken da.
Gottfried Benn: Wirklichkeit, in: Fragmente, Destillationen, Apreslude
coyote05 - 20. Aug, 22:49