Alle rennen sie hin. Heute. Auf den Life-Ball, der sich als gesellschaftlicher Höhepunkt des Wien-Jahres behauptet zu etablieren. Alle? Zumindest alle prominenten und nicht-prominenten und semi-prominenten Gestalten, deren aus Langeweile wankende Welten am Laufsteg zur Selbstfindung schreiten.
Doch was will man dort zeigen? Dass die Welt ein Sumpf ist und jeder mit jedem (ins Bett gehen) kann? Und dass es keinen Unterschied macht, ob ein Mann einen Mann oder eine Frau einen Hund liebt? Vögelt? Dass alles gleich ist, ununterschieden? Müssen wir zu diesem Schluss kommen, wenn wir denen, die Aids haben, helfen wollen? Ist der Life-Ball die zu sich selbst gekommene Aids-Demo? Oder einfach die hypostasierte Beliebigkeit unter dem Diktat des Sex? Was will das Grelle, Plärrende sagen, außer dass es plärrt? Mir graut vor dieser Avantgarde des Obszönen, Abartigen? Die so tut, als wäre sie auf der Höhe der Zeit.
Dabei ist die Avantgarde selbst heute anachronistisch, weil das Wahre nur mehr im Geretteten, Bewahrten, Wiedergefundenen, Geschützten, Verborgenen, Geheimen aufblitzt. Dort, wo es leise wird und langsam und schön.
" ... der sich bildende Geist reift langsam und stille der neuen Gestalt entgegen, löst ein Teilchen des Baues seiner vorhergehenden Welt nach dem anderen auf. Ihr Wanken wird nur durch einzelne Symptome angedeutet; der Leichtsinn wie die Langeweile, die im Bestehenden einreißen, die unbestimmte Ahnung eines Unbekannten, sind Vorboten, dass etwas anderes im Anzuge ist. Dies allmähliche Zerbröckeln, das die Physiognomie des Ganzen nicht veränderte, wird durch den Aufgang unterbrochen, der, ein Blitz, in einem Male das Gebilde der neuen Welt hinstellt." (Hegel, Phänomenologie des Geistes, s. 15)
coyote05 - 20. Mai, 09:02
Mit der Vestenkogel Ostflanke am Schneeberg, der im Frühjahr eher Fuiyama gleicht, gabs einen unvergesslichen Schlusspunkt. Anhaltend steil, jeder Schwung ein kleines Werk und eine Präsenz in Bewegung und Geist, die jedes Zeitkorn auswalzt bis es platt ist und gedehnt.
Die Eckdaten:
Vestenkogel Ostflanke (47-50°, anhaltend): Routa Vincente
Timing: aufgestanden um 4 uhr, gestartet um 6 uhr im Schneebergdörfl (besser noch ein halbe Stunde früher!), am Ausstieg um 8:35, Einfahrt um 8:50, in der Ostflanke bis ca. 9:25 (Unterbrechungsstelle mit Steigeisen abgeklettert, dann weiter mit Schi), da wurde es schon recht unruhig (laufend kleine Abgänge, enorm heiß), zurück beim Auto um 10:15.
Achtung: Die Optik von unten täuscht. Es gibt kein Jausenplatzerl -nirgends.
Aufstiegslinie - rote Punkte, Abfahrt - blaue Punkte
Bild aus bergsteigen.at: Abfahrtslinie mit Pfeil
In der Ostflanke beim Aufstieg
Die Abfahrt: "Beyond wedeling"
Fast schon heraußen: "Nur noch" die kleine Unterbechungsstelle
coyote05 - 23. Apr, 10:57
coyote05 - 15. Apr, 10:10
Moses und Paulus, am Kapitell der Kathedrale von Vézelay.
Es geschah zwischen dem 23. und 27. Februar 1987. Da begab sich ein vom Tode gezeichneter Mann vor eine erlesene Zuhörerschaft - mit seinem Vermächtnis. Er las den Römerbrief des Paulus - als Philosoph und Schüler von Gershom Sholem und Carl Schmitt. Und er nahm seinem Publikum das Versprechen ab, diese seine letzte Vorlesung zu publizieren.
Zehn Jahre später, im Vorfrühling ´96, wie es in der Widmung liebevoll heißt (ja, auch eine Zeitangabe kann liebevoll sein, wenn nicht das Monat, sondern die Zeit metaphorisch genannt wird), wurde mir dieses Buch zum Geschenk gemacht. Und ich kann mich erinnern, wie ich es damals in den Händen hielt. Ratlos, staunend, dankbar. "Für Wolfgang," stand da, "nach langen Jahren: ein Anfang".
In diesen Wochen und so auch heute im April 2006, der witterungsbedingt immer noch Vorfrühling ist dieses Jahr, schlage ich dieses Buch wieder auf und immer wieder und kann es lesen. Wieder eine Dekade später. Verstehe zwar nach wie vor nur die Hälfte davon - wie es sich für apokryphe Schriften gehört - aber diese Hälfte hats in sich und greift nach meinem Wesen.
Der Spätgeborene, der Spätberufene.
Everything is about time and memory.
Ein Blumenstrauß nach Kopenhagen!
coyote05 - 14. Apr, 08:31
im Schnee vergraben. Die Sehnsucht pocht nach Sonne und nach Erde und heute wird die Höhlentür geöffnet. Heut ist der erste Frühlingstag, und doch noch wie ein Scherenschnitt im Winterkleid. Der halbe Wienerwald, die Schattenseite, wie dichte Gitterstäbe im sulzig weißen Kleid. Und hinter jeder Ecke gurgelt es und rekelt sich der feuchte Grund. Mehr kristallin als federbauschig unter jedem Schritt, das Leder an den Schuhen ist schon nach kurzem Ritt ein Schwamm. Das Neue will erobert werden. So jung sind wir und voller Zuverischt. Wir kichern Hand in Hand und nehmen diesen Sonntag auf die leichte Schulter. Wieviele Sommer hab ich noch?
coyote05 - 19. Mär, 20:42
coyote05 - 17. Feb, 23:27
.........
Da riß der Mönch sein Kleid sich ab wie Rinde
und knieend hielt er es dem Alten hin.
Und sieh: er kam. Kam wie zu einem Kinde
und sagte sanft: Weißt du auch wer ich bin?
Das wußte er. Und legte sich gelinde
dem Greis wie eine Geige unters Kinn.
Jetzt reifen schon die roten Berberitzen,
alternde Astern atmen schwach im Beet.
Wer jetzt nicht reich ist, da der Sommer geht,
wird immer warten und sich nie besitzen.
Wer jetzt nicht seine Augen schließen kann,
gewiß, daß eine Fülle von Gesichten
in ihm nur wartet bis die Nacht begann,
um sich in seinem Dunkel aufzurichten: –
der ist vergangen wie ein alter Mann.
Dem kommt nichts mehr, dem stößt kein Tag mehr zu,
und alles lügt ihn an, was ihm geschieht;
auch du, mein Gott. Und wie ein Stein bist du,
welcher ihn täglich in die Tiefe zieht.
Du mußt nicht bangen, Gott. Sie sagen: mein
zu allen Dingen, die geduldig sind.
Sie sind wie Wind, der an die Zweige streift
und sagt: mein Baum.
Sie merken kaum,
wie alles glüht, was ihre Hand ergreift, –
so daß sie's auch an seinem letzten Saum
nicht halten könnten ohne zu verbrennen.
Sie sagen mein, wie manchmal einer gern
den Fürsten Freund nennt im Gespräch mit Bauern,
wenn dieser Fürst sehr groß ist und – sehr fern.
Sie sagen mein von ihren fremden Mauern
und kennen gar nicht ihres Hauses Herrn.
Sie sagen mein und nennen das Besitz,
wenn jedes Ding sich schließt, dem sie sich nahn,
so wie ein abgeschmackter Charlatan
vielleicht die Sonne sein nennt und den Blitz.
So sagen sie: mein Leben, meine Frau,
mein Hund, mein Kind, und wissen doch genau,
daß alles: Leben, Frau und Hund und Kind
fremde Gebilde sind, daran sie blind
mit ihren ausgestreckten Händen stoßen.
Gewißheit freilich ist das nur den Großen,
die sich nach Augen sehnen. Denn die Andern
wollens nicht hören, daß ihr armes Wandern
mit keinem Dinge rings zusammenhängt,
daß sie, von ihrer Habe fortgedrängt,
nicht anerkannt von ihrem Eigentume
das Weib so wenig haben wie die Blume,
die eines fremden Lebens ist für alle.
Falle nicht, Gott, aus deinem Gleichgewicht.
Auch der dich liebt und der dein Angesicht
erkennt im Dunkel, wenn er wie ein Licht
in deinem Atem schwankt, – besitzt dich nicht.
Und wenn dich einer in der Nacht erfaßt,
so daß du kommen mußt in sein Gebet:
Du bist der Gast,
der wieder weiter geht.
Wer kann dich halten, Gott? Denn du bist dein,
von keines Eigentümers Hand gestört,
so wie der noch nicht ausgereifte Wein,
der immer süßer wird, sich selbst gehört.
In tiefen Nächten grab ich dich, du Schatz.
Denn alle Überflüsse, die ich sah,
sind Armut und armsäliger Ersatz
für deine Schönheit, die noch nie geschah.
Aber der Weg zu dir ist furchtbar weit
und, weil ihn lange keiner ging, verweht.
O du bist einsam. Du bist Einsamkeit,
du Herz, das zu entfernten Talen geht.
Und meine Hände, welche blutig sind
vom Graben, heb ich offen in den Wind,
so daß sie sich verzweigen wie ein Baum.
Ich sauge dich mit ihnen aus dem Raum
als hättest du dich einmal dort zerschellt
in einer ungeduldigen Gebärde,
und fielest jetzt, eine zerstäubte Welt,
aus fernen Sternen wieder auf die Erde
sanft wie ein Frühlingsregen fällt.
aus Rainer Maria Rilke: Das Stundenbuch.
(vgl. Rilke-SW Bd. 1, S. 337-340)]
coyote05 - 17. Feb, 23:17
Zum großen Mozart-Jubiläumsjahr will ich kurz seinem Sohn Franz Xaver Wolfgang Mozart, der zeitlebens bloß als W.A. Mozarts Sohn "firmierte, gedenken und mit ihm allen Söhnen großer Väter. Warum gerade heute? Weil ich soeben eine Einladung aus Lemberg erhielt, um von dort ein Don Quijoterie in Patagonien zu wagen. Und Lemberg genauso wie Franz Xaver bislang auf meiner Weltkarte nicht vermerkt war. Wie unwirklich das Leben doch manchmal scheint.
Kein geringerer als Franz Grillparzer, der schon immer eine Nähe zum Apokryphen hegte, besorgte die Grabinschrift:
Am Grabe Mozart, des Sohnes
So bist du endlich hingegangen,
Wohin der Geist dich ewig zog,
Und hältst den Großen dort umfangen,
Der adlergleich zur Sonne flog.
Daß keiner doch dein Wirken messe,
Der nicht der Sehnsucht Stachel kennt,
Du warst die trauernde Zypresse
An deines Vaters Monument.
Wovon so viele einzig leben,
Was Stolz und Wahn so gerne hört,
Des Vaters Name war es eben,
Was deiner Tatkraft Keim gestört.
Begabt, um höher aufzuragen,
Hielt ein Gedanke deinen Flug;
»Was würde wohl mein Vater sagen?«
War dich zu hemmen schon genug.
Und wars zu schaffen dir gelungen,
Was manchen andern hoch geehrt,
Du selbst verwarfst es, kaum gesungen,
Als nicht des Namens Mozart wert.
Nun öffnen sich dem guten Sohne
Des großen Vaters Arme weit,
Er gibt, der Kindestreu zum Lohne,
Ein Teilchen dir Unsterblichkeit.
Der Name, dir ein Schmerzgenosse,
Er wandelt sich von heut in Glück;
Tönt doch von Salzburgs Erzkolosse
Ein Echo auch für dich zurück.
Wenn dort die Menge sich versammelt,
Ehrfürchtig Schweigen alle bannt,
Wer dann den Namen Mozart stammelt,
Hat ja den deinen auch genannt.
coyote05 - 13. Feb, 23:42
Gib mir die Hand in die Hand, steig mit mir über die Baumgrenze, hundert und hundert Meter weiter wird der Boden ganz glatt, der Berg ist zu Ende, das Bild stimmt doch. Wir sind in das Bild gestellt, das wir sind, sehr rot, sehr rot. Dann steigen wir weiter über den Bildrand hinaus und finden uns, wo wir nicht mehr sind, ganz.
Ulla Berkévicz, Adam
Kann ihn nicht schreiben, diesen Text, von dem ich träume. Obwohl alles hindrängt zu ihm und weg von den Geschichten. So fülle ich Lücken, lebe an den Rändern meiner Texte, die sich mit den Geschichten berühren, bin selbst dieser Rand, dieses Alphabet neben dem "Es war einmal". Bin nie ganz jetzt und nie ganz ganz, bin immer unter anderem.
coyote05 - 10. Feb, 23:42
"Wenn wir die Schönheit nicht besitzen /
und durch und durch ein kranker Geist /
und mittellos bis in die Seele sind."
Der Theatermacher
Andächtig spreche ich diesen Satz von Thomas Bernhard zu seinem heutigen 75. Geburtstag. Er hätte ihn nicht, er hat ihn. Heute. Egal ob er tot ist oder lebt.
coyote05 - 9. Feb, 16:22
Auf
ORF ON Science ist heute zu lesen, dass japanische Forscher mit Hilfe von Hörbüchern berühmter Märchen nachgewiesen haben, dass Reisfinken zwischen verschiedenen menschlichen Sprachen unterscheiden können. Den Prachtfinken mit dem wissenschaftlichen Namen "Padda oyzivora" wurden die japanischen Märchen "Ich bin eine Katze" und "Das Märchen von Genji" vorgespielt - und zwar in englischer und chinesischer Übersetzung, berichtete die Tageszeitung "
Mainichi Shimbun" am Montag.
Die Reisfinken bekamen laut Versuchsanordnung zunächst nur dann etwas zu picken, wenn sie die englische Fassung eines Märchens geduldig zu Ende angehört hatten. Anschließend wurden die englische und die chinesische Fassung zugleich abgespielt, die Futtergabe erfolgte jedoch nur, wenn die Reisfinken auf die englische Seite flatterten. Die Trefferquote lag bei 75 Prozent.
Den amerikanischen Forscher
Chris Templeton aus Seattle erstaunt das wahrscheinlich wenig. Hat er doch für die verbreitete Schwarzkopfmeise (Poecile atricapilla) eines der komplexesten Warnsysteme im Tierreich nachgewiesen. hre Rufe informieren andere Artgenossen nicht nur generell über eine Gefahr, sondern ganz spezifisch auch über die Art und Größe des Raubtieres sowie die Geschwindigkeit, mit der es sich nähert. Wie die Forscher berichten, unterscheiden die kleinen Vögel ganz differenziert zwischen einer fliegenden Gefahrenquelle und einer, die am Boden und im Baum auf sie lauert.
Der Ruf der Schwarzkopfmeise bei Gefahr durch den Virginia-Uhu (.wav-FILE)
Nähert sich ein Habicht, eine Eule oder auch ein Falke aus der Luft, so reagieren sie mit einem hohen, weichen "sit"-Ruf. Längere und weitaus harschere "tschik-a-di-di"-Rufe dagegen machen auf einen sitzenden Feind aufmerksam. Dabei variiert die Zahl der "di"-Anhänge je nach Größe und Gefahr des entdeckten Räubers. Greifvögel mit kleiner Flügelspannweite gelten den Meisen als die größten Feinde. Auf eine besonders große Bedrohung wie die Pygmäen-Eule beispielsweise regierten die Schwarzkopfmeisen mit bis zu 23 "di"-Anhängen in ihrem Warnruf. Andere Risiken wurden nur mit fünf, zehn oder 15 "di"-Zusätzen registriert.
coyote05 - 7. Feb, 10:48
Wer hoch genug steigt, wird das erfahren, worum es hier geht. Eine Bewegung im eigenen Körper, oder eine Reise im Sitzen, wie Gottfried Benn es genannt hätte. War es nicht von Anbeginn das Ziel meiner Reisen, diese Unruhe zu durchbrechen, die in jeder Bewegung liegt, die um Neues sich dreht. Diese Spirale der Neugier und Neuigkeiten hinter mir zu lassen.
Ich erinnere mich, welchen Eindruck diese Wortschöpfung der Reise im Sitzen auf mich machte, als ich sie zum ersten Mal vernahm, ein Versprechen lag darin, ein Versprechen von einem bewegten Verweilen. Ganz anders als die Zerstreutheit, die mich sonst oft auf Reisen verfolgt, diese Wahrnehmungsvielfalt und ein dauernder Druck auf den Augenlidern, die sich schließen wollten vor soviel Fülle, dass ich so ganz aus der Fassung geriet, mich nicht mehr fassen konnte, kein Gegenüber mehr und kein Filter, mir meine Existenz abhanden kam und ich am Abgrund stand von allem, was ich war. Die Sehnsucht nach sorgfältig dosierten Wahrnehmungshäppchen, nach einem vertrauten Platz, wo plötzlich das Ungewohnte sich auftut und ich aus dem Vollen schöpfen konnte, aus dem Vollen meiner Existenz, dies aufzunehmen und zu beschreiben.
Die Schönheit wird ein Beben sein oder sie wird nicht sein, - und dieses Beben kann nur ergründen, wer festen Boden unter sich hat, nicht vollkommen aufgeht in der Erschütterung, wie André Breton zu ergänzen wäre.
Man geht also weiter, höher und höher, und während man aufsteigt nimmt man die Umgebung bloß aus den Augenwinkeln wahr. Man ist ganz in sich, zusammengezogen auf eine Kommandozentrale, die keinen festen Ort hat und monoton ein Wort vor sich hinmurmelt: weiter. Und wenn man dann stehenbleibt, um zu atmen, den Kopf zwischen den Schultern ruhend zuerst, und ihn dann vielleicht hebt, Augenblicke vor dem nächsten Schritt, ist es, als ob man hinausschaut aus einem Haus, als ob man ein Fenster öffnet. Nicht mit beiden Armen, um sich hinauszulehnen, sondern bloß für kurz und einen Spalt breit, hinauslugt, als ob man das Licht nicht ertragen könnte oder die Schönheit oder das Beben.
Dieses Blinzeln, das wir im Alltag nicht kennen, paradoxe Neugier, die Angst hat, dass sie sich verbrennt. Wo wir ansonsten sperrangelweit geöffnet sind und vollkommen durchlässig für alles und jedes. Genau so, wie man es von uns verlangt, Eingänge und Ausgänge überall, löchrig, undicht, um etwas zu empfangen, von dem wir nicht wissen, ob wir es empfangen wollen, Botschaften, Informationen, Berührungen, Schmerzen. Wir, die wir alltäglich total erschlossen sind, aufgemacht und freigelegt, wie die Knochen vom Fleisch eines toten Tiers. Aufgemacht aber nicht offen, erschlossen aber nicht geöffnet, wenn Offenheit einen Platz meint, wo man sich niederlassen könnte, ein Platz der Ruhe, ein Ort der Gastfreundschaft.
Wo alles hindurchgehen kann, eiligst, ohne eine Spur zu hinterlassen, wo es keine Räume gibt, wo Dinge, Ereignisse, Gesten, Worte sich verlangsamen und dadurch Bedeutung gewinnen, ist Offenheit kein Regulativ der Bewegung mehr, und bezeichnet nichts als die Leerstelle des Widerstands. Und wir sind Katalysatoren unserer Umgebung, sind bewusstloser Teil der Beschleunigung der Dinge um uns herum, ohne selbst verbraucht, berührt zu werden.
Beim Höhersteigen, einen Schritt nach dem anderen, sind die Jalousien der Fenster heruntergelassen. Alles steht im Zeichen einer existentiellen Ökonomie, im Zeichen des Schutzes von Energien und Reserven. Aber es gibt diese Gucklöcher, an denen wir so wachsam und sensibel sind, daß es uns beglückt. Wir sehen die Welt nur einen Spalt breit, aber mit der höchsten Intensität. Reduktion, Verdichtung, Unmitttelbarkeit dort, wo die Hand die Jalousie hebt.
Wo wir beim Klettern ganz als Oberfläche existieren, die atmet und pulsiert, existieren wir beim Höhenbergsteigen als Tiefe, als Schacht, als Brunnen, als Punkt, der ein Quasi-Ort und ständig in Bewegung ist. Die Sehnsucht einzuschlafen oder die Fähigkeit, uns zurückzuziehen aus bedrohten Teilen unseres Körpers, markiert diesen Zustand am deutlichsten. Der Atem tropft voraus, das Blut pulst drückend an den Schläfen, die Finger werden starr vor Kälte. Alles geschieht am und mit dem eigenen Körper und doch ist man selbst nur Zuschauer, der jede Veränderung penibel verzeichnet, weil die eigene Existenz am Spiel und auf der Bühne steht und rezitiert.
In solchen Momenten ahnt man, dass auch der Tod nur ein Schritt ist, den man tut, um weiterzukommen.
coyote05 - 29. Jan, 00:41
Sprachlos im ersten Augenblick und Deutsch im Mund wie einen Knödel. Kaltgeschrumpft im Alltag des Geschäfts. Gesichter, die wie Scheiben sind und lügen. Kleinkram, doch allertiefst im Sumpf vergraben. Wo seid ihr Freunde, Gleichgesinnte? Wer pflegt die Werte hinter dem Geschwätz? Mendoza - Wien. Ein Firmenname wird zur Existenzmetapher. Und macht mich stark. Was wichtig ist, sind Namensbojen im Meer der Eitelkeiten. Ein Ruck geht durch den alten Kontinent.
Evo Morales (Bolivien) hats geschafft. Und Europa will es nicht bemerken. Ist selbstvergessen in der eignen Nabelschau. Geschweige denn die USA, die sich im traurig nahen Osten die Hände schmutzig macht und nichts kapiert. Nach Hugo Chávez (Venezuela), Luiz Inácio Lula da Silva (Brasilien), Néstor Kirchner (Argentinien), Tabaré Vazquez (Uruquay) und Michelle Bachelet (Chile) erwacht ein ganzer Kontinent. Und es geht weiter. Ollanta Humala (Peru, Wahlen im April ) und Andrés Manuel López Obrador (Mexiko, Wahlen im Juni) könnten schon bald die nächsten sein.
Das alles sah ich aus meiner Hängematte in Lujan de Cujo, vorbeigezogen als Andenhorizont - kein Garten, wie ihn jeder kennt.
coyote05 - 28. Jan, 00:57
Die Zeit ist wie ein an die Wand geklebter Teig, manchmal bricht ein Stück herunter, und man wundert sich.
Franzobel: Das Fest der Steine, Zsolnay 2005
coyote05 - 30. Dez, 20:11
Neulich wurde es kalt, von einem Tag auf den anderen. Ich sägte ein
Vogelhaus aus dem Rest meiner Stauraumregale und hängte es in den
Winter. Eine Fünfsternhütte, die weder Buntspecht noch Eichelhäher
dem gemeinen Meisenvolk kampflos überlassen wollten. Das war neulich
an einem Sonntag und seitdem wächst die Luft unter meinen Achseln.
Zweimal schlafen und ich bin ein Geschoß in eisiger Nacht - auf dem Weg
nach Mendoza. Nicht achtlos aber doch mit Erleichterung lasse ich das alte
Jahr links liegen und halte es - als halber Argentinier - mit einem deutschen
Urgestein: Wenn ich übers Wasser laufe, dann sagen meine Kritiker:
"Nicht mal schwimmen kann er!" (Berti Vogts)
coyote05 - 13. Dez, 20:52